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Technische Probleme bei der Corona-Warn-App: Wie schlechte Krisenkommunikation Vertrauen zerstört

PR-GAU rund um die Corona-Warn-App: Wegen technischer Fehler wurden viele Nutzerinnen und Nutzer über einen längeren Zeitraum hinweg nicht oder nur verspätet vor gefährlichen Begegnungen gewarnt. Doch statt die Fehlfunktionen zeitnah einzugestehen und mit Empfehlungen zur Problemlösung zu punkten, schlitterten die Verantwortlichen mit Schweigen, Beschönigungen und einer wenig professionellen Salami-Taktik in eine PR-Katastrophe.

Mauer des Schweigens statt transparenter Kommunikation

Gesundheitsminister Spahn und die Corona-Warn-App-Entwickler SAP und Telekom stehen aktuell im Zentrum eines ausgewachsenen Shitstorms. So konnte man schon seit einigen Wochen aus verschiedenen (Fach-)Medien erfahren, dass die Corona-Warn-App auf Millionen Android-Smartphones von Samsung und Huawei offenbar nur eingeschränkt funktioniert hatte. Zwar hatte die Warn-App wie versprochen ständig anonyme Codes mit anderen Nutzern ausgetauscht. Die Warnung vor gefährlichen Begegnungen erfolgte aber nur, wenn die Anwendung geöffnet wurde. Nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe räumte das Bundesgesundheitsministerium zwar technische Probleme bei der App-Nutzung auf bestimmten Android-Handys ein, betonte aber noch bis zum gestrigen Sonntag, 26. Juli 2020, die App habe immer richtig gearbeitet. Wie tagesschau.de allerdings vor wenigen Tagen ermittelte, waren jedoch keineswegs nur Android-, sondern auch Apple-Smartphones mit dem Betriebssystem iOS von der massiven Fehlfunktion betroffen. Genau wie die erste wurde auch diese zweite Panne vom Bundesgesundheitsministerium und den beteiligten Entwickler-Unternehmen nicht etwa professionell proaktiv kommuniziert, sondern nur auf Nachfrage zögerlich kommentiert. Zwar sind die Probleme bei Android-Smartphones schon seit einigen Tagen durch die Bereitstellung entsprechender Updates gelöst und auch für Apple-Handys steht mittlerweile ein entsprechendes App-Update zum Download bereit. Doch das Gesundheitsministerium und die Verantwortlichen der Entwickler-Unternehmen müssen sich jetzt zu Recht viele unangenehme Fragen gefallen lassen: Wie konnte es überhaupt zu den technischen Pannen kommen? Warum reagierten Ministerium und Unternehmen mit einer Mauer des Schweigens statt mit aufklärender Kommunikation, die den entstandenen, großen Vertrauensverlust in die Warn-App deutlich hätte begrenzen können? Haben die Verantwortlichen vielleicht sogar noch mehr zu Fehlfunktionen zu verbergen, als bisher scheibchenweise öffentlich bekannt wurde?

Diese Kommunikationsfehler führten zum PR-Desaster

Aus meiner Sicht als Medienwissenschaftlerin und PR-Beraterin ist der aktuelle Shitstorm rund um die Corona-Warn-App ganz besonders bitter: Gerade angesichts der aktuell wieder steigenden Infektionszahlen benötigen wir die Corona-Warn-App dringend, denn sie trägt zu unser aller Schutz bei. Ausgerechnet dieses so sinnvolle Projekt hat jetzt durch die verheerende Krisenkommunikation einen massiven Vertrauensverlust erlitten. Dazu kommt: Den entstandenen Schaden hätten die Verantwortlichen durch wenige zielgerichtete, zeitnahe Kommunikationsmaßnahmen deutlich begrenzen können. Welche Fehler in der Öffentlichkeitsarbeit führten also zu diesem GAU und was hätten die Verantwortlichen von Beginn an anders machen müssen?

Fehler 1: Reaktion statt Aktion

Die Fachwelt ist sich einig: Die Entwicklung der Corona-Warn-App war ein ambitioniertes Projekt, für das es in dieser Größenordnung keinen Vergleich gab. Unter anderem deshalb, weil es grundsätzlich nicht so einfach ist, eine auf allen Auflösungen und Geräten korrekt funktionierende App zur Verfügung zu stellen, insbesondere unter Android, wo es (anders als in der Apple-Welt) Tausende unterschiedliche Geräte mit ihren eigenen Kombinationen an technischen Daten gibt. Diesen nachvollziehbaren Umstand hätten die Verantwortlichen für eine Erklärung nutzen sollen, um sich allerspätestens unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten technischen Probleme bei Android-Handys proaktiv an die Öffentlichkeit zu wenden. So hätten Ministerium und die Entwickler-Unternehmen rechtzeitig über den technischen Fehler informieren, sich dafür entschuldigen und gleichzeitig allen betroffenen Nutzerinnen und Nutzern eine einfache Problemlösung empfehlen müssen. Denn diese gab es tatsächlich schon: Wer die App auf seinem Handy aktiv öffnet, aktiviert damit manuell den Datenabgleich zur Kontaktüberprüfung, der bei vielen Android-Smartphones (und wie wir inzwischen wissen, auch bei Apple-Handys) aufgrund einer fehlerhaften Konfiguration unterblieben war. Doch die Verantwortlichen reagierten nur, statt zu agieren: Zögerlich und auf Nachfrage von außen gaben sie Stück für Stück das Vorhandensein gewisser Probleme zu.

Fehler 2: Herunterspielen und die Krise aussitzen

Noch bis gestern Abend, 26. Juli, wurde vom Gesundheitsministerium noch behauptet, die App habe immer richtig funktioniert. Doch das ist genau genommen nicht richtig: Fakt ist, dass die App bei vielen Android- und auch bei Apple-Nutzerinnen und Nutzern so eingestellt war, dass diese aufgrund der nicht oder nur verzögert stattfinden Kontaktüberprüfung keine oder im besten Fall nur eine sehr verspätete Warnung bekamen, wenn sie einer infizierten Person nahe gekommen waren. In diesen Fällen arbeitete die App keineswegs korrekt. Vielmehr gab es ein veritables technisches Problem mit weitreichenden, unter Umständen gesundheitsgefährdenden Folgen, das heruntergespielt und beschönigt wurde.

Fehler 3: Auf die Salami-Taktik hoffen

Selbst als vor kürzlich bekannt wurde, dass die Problematik der mangelnden Kontaktüberprüfung noch weitaus mehr Smartphones betraf als zunächst angenommen – nämlich auch Apple iPhones – veranlasste das die Verantwortlichen noch immer nicht zu einem transparenten, öffentlichen Dialog. Stattdessen kam die peinliche Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht und führte zu noch mehr Verunsicherung und Verärgerung der bestehenden und potenziellen App-Nutzerinnen und -Nutzer. Erst am gestrigen Abend des 26. Juli 2020 veröffentlichte der Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Spahn, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG und dem Vorstandssprecher der SAP SE – endlich – eine gemeinsame öffentliche Erklärung. Darin heißt es unter anderem: „Wie bei jeder neuen Entwicklung gibt es technische Herausforderungen. Nicht auf allen Mobiltelefonen lief die Anwendung der App ohne Einschränkungen. Die App hat zu jeder Zeit automatisch anonyme Schlüssel ausgetauscht. Der Austausch der Schlüssel von positiv getesteten Nutzern funktionierte bei einigen Nutzern allerdings nicht immer automatisch im Hintergrund, sondern nur, wenn sie die App einmal geöffnet hatten.“

Fehler 4: Keine Entschuldigung, kaum Aufklärung

Noch bis zum Abend des gerade genannten 26. Juli 2020 ließ sich auf der Landing-Page der offiziellen Regierungs-Website zur Corona-Warn-App unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/corona-warn-app/corona-warn-app-faq-1758392 weder ein deutlich erkennbarer Hinweis zu den bestehenden technischen Problemen rund um die Warn-App noch zu den zu diesem Zeitpunkt bereits verfügbaren Updates finden. Nur wer den Unterpunkt „FAQs zur App“ anklickte und dann dem Link „Welche Voraussetzung werden benötigt?“ folgte, gelangte zu einem Text, in dem die Endgeräte und die Betriebssysteme beschrieben wurden, mit denen die App genutzt werden kann. Erst am Textende hieß es schließlich: „Weiterführende Informationen zu technischen Aspekten der Corona-Warn-App finden Sie hier“. Wer es tatsächlich bis dorthin geschafft hatte, landete wiederum auf einer Website des „Corona-Warn-App Open Source Projekt“ mit dem Oberthema „Häufig gestellte Fragen zur Corona-Warn-App“ und konnte dann von dort aus zu einem LinkedIn-Blogpost (nicht etwa zu einer offiziellen Ministeriums- oder Telekom-Site) gelangen (https://www.linkedin.com/pulse/corona-warn-app-software-update-f%25C3%25BCr-ios-harald-lindlar/). Dessen Autor befasste sich zumindest mit den aktuellen technischen Problemen der App und ging auf die inzwischen zur Verfügung stehenden Update-Lösungen ein. Fazit: So etwas ist Krisenkommunikation zum Abgewöhnen. Ganz zu schweigen davon, dass die unter Fehler 3 teilweise zitierte öffentliche Erklärung vom Abend des 26. Juli sich keineswegs wie eine Entschuldigung liest, die in Anbetracht der kommunikativen Versäumnisse aller Akteure dringend angebracht gewesen wäre.

Vertrauen verspielt, öffentliche Akzeptanz gefährdet, Akteure beschädigt: Die Folgen der verfehlten Krisenkommunikation

Zusammenfassend lässt sich sagen: Mit ihrer unprofessionellen Krisenkommunikation haben die Verantwortlichen der so wichtigen und nützlichen Corona-Warn-App, die bisher sogar von Datenschützern gelobt und bis heute 16,2 Mio. Mal heruntergeladen wurde, massiv geschadet. Dementsprechend lauten auch die Schlagzeilen am heutigen Montag, 27. Juli 2020: „Sorge um die Akzeptanz der Corona-Warn-App“, „Kritik an Spahn“, „Mängel und noch mehr Probleme an Corona-Warn-App“.  Um das verlorengegangene Vertrauen in die App und in die handelnden Akteure wieder aufzubauen, wird es jetzt neben großer kommunikativer auch verstärkter technischer Anstrengungen seitens des Gesundheitsministeriums, der Telekom und von SAP bedürfen. Denn jede weitere Panne rund um die App würde die durch das PR-Desaster verursachte Skepsis der Nutzerinnen und Nutzer noch mehr vergrößern und die Akzeptanz der Warn-App weiter gefährden. Trotzdem werde ich persönlich die App weiter nutzen. Denn sie kann helfen, Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen und damit uns selbst und andere schützen – vorausgesetzt natürlich, sie funktioniert ….

Übrigens: Wer wissen möchte, worauf es bei guter Krisenkommunikation wirklich ankommt, dem möchte ich unseren Blogartikel empfehlen: https://semrau-kommunikation.media/coronavirus-und-kein-ende-worauf-es-bei-krisenkommunikation-wirklich-ankommt/

Foto: Semrau Kommunikation

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